Da es gerade wieder in aller Munde ist, folgt nun eine kurze (soweit das eben geht) Erklärung meines (politischen) Standpunktes zum Thema Abtreibung.
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Hier stand einmal ein idealtypischer Tweet der "Zellklumpen"-Fraktion. Leider existiert er nicht mehr.
Hier macht man es sich viel zu einfach. Was macht denn ein Individuum aus - ganz abgesehen davon, dass es hier wohl eher um den Personenbegriff geht? Denn ein jeder Zellhaufen ist schon einmal einzigartig. Ist es die selbstständige Entscheidungsfähigkeit? Die Fähigkeit, ohne fremde Hilfe - biologisch wie gesellschaftlich - (über-)leben zu können? Oder ist es doch nur eine willkürliche Festlegung derjenigen, die gerade die Deutungshoheit innezuhaben glauben?
Dazu ein paar Gedanken über biologische, religiös-philosophische und entwicklungspsychologische Aspekte des Menschwerdens.
1. Ab wann ist ein Mensch ein Mensch?
1.1 Biologische Sicht
Wie ist ein Lebewesen aus biologischer Sicht "kodiert"? Bekanntermaßen ja durch die DNS, wobei - grob gesagt - bei sich sexuell fortpflanzenden Lebewesen die eine Hälfte der DNS von der Mutter, die andere vom Vater kommt. Mit der Befruchtung der Eizelle und dem Vorhandensein des vollständigen "Bauplans" des Lebewesens ist dieses theoretisch bzw. seinem Potential nach eindeutig und einzigartigerweise definiert.
Jetzt könnte natürlich jemand daherkommen und behaupten, der Zellhaufen wäre doch gar nicht einzigartig, es gäbe doch die Möglichkeit des Klonens und damit Lebewesen mit gleicher DNS, woraus man schließen müsse, dass die Ausprägung in einer Eizelle nicht ausschlaggebend für die Einzigartigkeit des Lebewesens sei, da man es ja einfach kopieren könne.
Diesem Trugschluss kann man mit einfachen Beispielen aus der Informatik begegnen: Denn Identität ist nicht Gleichheit (im Sinne einer gleichen Ausprägung bzw. gleichen Wertes), wie sich einfach am Konzept eines Zeigers oder des Identitätsoperators z.B. in Java zeigen lässt.
Etwas lebensnäher und auch noch den erst einmal nicht biologischen Aspekt der Umwelteinflüsse mit einbeziehend ist das Beispiel des "Klonens" von Pflanzen durch das Ziehen von Stecklingen. Die nun als eigenständige Lebewesen weiterexistierenden Stecklinge besitzen zwar exakt dieselben Gene, sind aber nicht mehr identisch.
Es wird auch gern argumentiert, das menschliche Leben beginne ab dem ersten Herzschlag oder dem ersten Atemzug. Doch ganz ehrlich verstehe ich hier nicht ganz, wie sich das eine vom anderen unterscheidet - außer im Zeitpunkt des ersten Auftretens.
So beginnt das Herz eines Menschen in der Regel in der fünften Schwangerschaftswoche zu schlagen; den ersten Atemzug tätigt er erst nach der Geburt. Beides jedoch ist für ein Überleben notwendig.
Und hier offenbart sich meines Erachtens die Schwäche des Arguments, dass das menschliche Leben erst mit Eintreten des Herzschlags und/oder des selbstständigen Atmens, also der biologischen Überlebensfähigkeit, beginne: Nehmen wir einmal - rein hypothetisch, medizinisch kenne ich mich hier nicht aus - an, ein Kind würde im Leib einer Mutter heranwachsen, doch sein Herz würde nie anfangen zu schlagen. Durch eine Maschine kann es sich ansonsten jedoch normal entwickeln. Erlangt dieses Kind jetzt niemals die Menschenwürde, da sein Herz noch nie geschlagen hat?
Ein möglicher Einwand wäre, dass hier das eigentliche Merkmal, die biologische Überlebensfähigkeit, doch erfüllt sei und durch den Anschluss an die Maschine das Menschsein erlangt wurde. Dies wäre aber nur dann möglich, wenn es einem Menschen zukäme, einem anderen Menschen die Menschenwürde zu verleihen - nämlich demjenigen, der die Maschine bedient. Dass es keine gute Idee ist, wenn Menschen darüber entscheiden können, hat die Geschichte des 20. Jahrhunderts eindrücklich gezeigt.
Dieses theoretische Beispiel soll lediglich aufzeigen, dass die biologische Überlebensfähigkeit nicht ausreichen kann, um den Beginn eines menschlichen Lebens zu markieren.
Ein anderer erwähnenswerter Aspekt bezüglich des Menschseins ab Geburt ist jener: Aufgrund seines Stoffwechsels und verbundenem vergleichsweise hohen Energiebedarf ist es dem Menschen nicht möglich, seinen Nachwuchs solange auszutragen, wie es in der Welt der Säugetiere eigentlich üblich wäre. Jedes Neugeborene ist im Vergleich zu anderen Säugetieren "unfertig" und bedürfte - um einen ähnlichen Entwicklungsstand wie andere frisch geborene Säuger zu erreichen - noch etwa weitere sieben Monate im Mutterleib.
Mit dieser Erkenntnis dürfte es jemandem, der die These vertritt, das Menschsein beginne ab der Geburt - d.h., ab der physischen Entfernung des Kindes aus dem Leib der Mutter - doch nicht schwer fallen, auch einen Schritt weiterzugehen und Abtreibungen auch nach der Geburt erlauben zu wollen. Insgesamt führt die gesamte Logik "frei" verfügbarer Abtreibungen nur immer einen unsagbaren Schritt weiter, wie wir in Abschnitt 3 sehen werden.
1.2 Christlich-religiöse Sicht
Aus Sicht des Katechismus der katholischen Kirche ist die Sache klar: Das menschliche Leben ist heilig und als solches zu schützen.
Das menschliche Leben ist vom Augenblick der Empfängnis an absolut zu achten und zu schützen. Schon im ersten Augenblick seines Daseins sind dem menschlichen Wesen die Rechte der Person zuzuerkennen, darunter das unverletzliche Recht jedes unschuldigen Wesens auf das Leben [Vgl. DnV 1,1.].
Auch stützt die Bibel die Sichtweise, dass es egal ist, wie weit ein "Zellhaufen" entwickelt sein muss, um bereits in den vollen Besitz der Menschenwürde zu gelangen:
Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt. Jer 1,5
Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder dir nicht verborgen. Ps 139,15
1.3 Entwicklungspsychologische Sicht
Aufgrund der vorhin beschriebenen "Beliebigkeit" der Verknüpfung des Beginns eines menschlichen Lebens an die eigenständige biologische Überlebensfähigkeit könnte man dieses Argument als Befürworter allgemein verfügbarer Abtreibungen theoretisch noch weiter dehnen. Und zwar auf die darüber hinausgehenden erforderlichen Fähigkeiten zum Überleben in dieser Welt.
So ist ein Säugling z.B. keineswegs fähig, ohne fremde Hilfe zu überleben. Dies sogar noch recht lang - und auch wenn das Kind schon die ersten Jährchen hinter sich gebracht hat, wäre es ohne Fremdversorgung, ganz auf sich allein gestellt, wohl kaum in der Lage, sich zurechtzufinden.
Auch hier ist es schwierig bis unmöglich, einen konkreten Zeitpunkt zu finden, ab dem ein Mensch wirklich in allen Aspekten als überlebensfähig gelten kann.
Wenn man dieses Spiel weitergeht, kommt man möglicherweise auch zu der Frage, ab wann ein Mensch sich eigentlich "fertig" entwickelt hat - so ist das Gehirn in der Regel erst im dritten Lebensjahrzehnt so weit ausgebildet, dass erst dann wirklich rationale Entscheidungen möglich sind (was sich unter Anderem im Wahlalter widerspiegelt).
Aus diesen Gründen ist es meines Erachtens in keinster Weise möglich, den Beginn des menschlichen Lebens verlässlich an die Lebensfähigkeit zu knüpfen.
Zusammenfassung: "Eskalationskaskade"
@LennardNoah @tatentschluss Welche Freiheit ? Man erhält es nach der Geburt. Davor ist es nur ein Teil des Körpers einer Frau
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass für jeden Zeitpunkt in der Entwicklung eines Kindes Argumente für oder gegen den Erwerb der Menschenwürde gefunden werden können. Die möglichen Konsequenzen zeigen sich in der (teilweise polemischen, teilweise aber erschreckenderweise ernst gemeinten) Forderung nach postnataler Abtreibung.
Denn: Warum legt man nicht den Beginn des Lebens auf einen der folgenden Zeitpunkte fest? Vor Beginn des Herzschlages? Vor ersten Tritten? Vor der Entfernung aus dem Mutterleib (wo ist der Unterschied außer im physischen Getrenntsein)? Direkt nach der Geburt? Mit 1 Jahr? 2 Jahren? Mit Erreichen der Volljährigkeit?
2. Meine Freiheit und Deine Freiheit
Aus der biologischen Verbindung zwischen Kind und Mutter besonders während der Schwangerschaft lässt sich natürlich eine Art Interessenskonflikt ableiten, der gerne als Hauptargument für frei zugängliche Abtreibungen verwendet wird. Hier sei erneut darauf hingewiesen, dass ich hier keine Grenzfälle wie Vergewaltigungen oder eine gesundheitliche Gefahr für Mutter und/oder Kind behandle, welche eine gesonderte Betrachtung verdient haben.
2.1 Die Freiheit der Frau und die Freiheit des Kindes
Unter dem allseits bekannten Slogan Mein Körper gehört mir ziehen Anhänger der Forderung nach frei zugänglichen Abtreibungen gerne in die rhetorische Schlacht. So sehr man der Unverletzlichkeit der Selbstbestimmung über den eigenen Körper auch zustimmen sollte, so kommt man nicht umhin, festzustellen, dass der Slogan in Bezug auf einen heranwachsenden Menschen ein wenig zu kurz gedacht ist. Denn die Verbindung zwischen Kind und Mutter beschränkt sich nicht nur auf die Freiheit der Frau über ihren Körper, sondern betrifft auch die Freiheit des Kindes; nämlich die Grundsätzlichste, die Freiheit zu leben.
Dass dieser Interessenskonflikt auch einigen Anhängern der Abtreibung bewusst zu sein scheint, lässt sich durch die (rhetorische?) Entwertung des Kindes als Parasit (Beispiel: Siehe untere Grafik) oder Zellhaufen oder anderer entmenschlichender Begriffe erahnen.
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2.2 Konflikt?
Schränkt ein Verbot frei zugänglicher Abtreibungen denn überhaupt die Freiheit einer Frau in nennenswerter Weise ein? Sichere Verhütungsmethoden sind heutzutage in etwa so einfach zu erhalten wie Taschentücher. Im übertragenen Sinne müssen Menschen, die beispielsweise aufgrund eigenen Verschuldens auf einem Berg festsitzen und sich von der Bergwacht retten lassen, zurecht die Kosten für einen solchen Einsatz tragen. Hier spricht man auch nicht von einer Beschränkung der Freiheit der Wanderer, denn es ist einfach, eine solche Situation mit ein wenig Verantwortungsbewusstsein zu vermeiden.
Beiden Partnern sollte im Sinne der Eigenverantwortung also daran gelegen sein, überhaupt nicht erst in die Situation einer ungewollten Schwangerschaft zu gelangen. Ganz besonders dann, wenn sich nicht nur das eigene Leben verändern würde, sondern auch noch das eines Dritten.
3. Fazit - Unentscheidbarkeit des Beginns des Lebens
Aus der Unmöglichkeit, den Beginn des menschlichen Lebens verlässlich einem bestimmten Zeitpunkt zuzuordnen, der beschriebenen potentiellen Eskalationsspirale, die einem Dammbruch gleichkommen könnte und der Tatsache, dass der frühestmögliche Zeitpunkt des Beginns des menschlichen Lebens die Befruchtung einer Eizelle darstellt, ergibt sich nur ein einziger möglicher und konsequenter, der Würde des Menschen gerechtwerdender, Zeitpunkt des Beginns der grundgesetzlich festgeschriebenen Rechte.
Denn nur mit dem Schutz ab Beginn der Befruchtung der Eizelle ist logisch sichergestellt, dass kein menschliches Leben - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - ausgelöscht wird.
4. Vorschläge für den Staat
Aus den in diesem Beitrag genannten Gründen kann ein Staat, dessen Grundgesetz auf christlich-jüdischem Fundament aufbauend die Unverletzbarkeit der Menschenwürde und das Recht auf Unversehrtheit des Körpers garantiert, meines Erachtens keinesfalls Helfershelfer bei der Tötung eines Ungeborenen sein.
Selbst wenn man religiöse Gründe beiseite stellt, kann - wie gezeigt wurde - nur mit dem Schutz des Ungeborenen seitens des Staates ab Zeitpunkt der Befruchtung sichergestellt werden, dass gegen diese Grundsätze nicht verstoßen wird.
Selbstredend gibt es hier nicht behandelte furchtbare Ausnahmefälle wie Vergewaltigungen, bei denen es einen Konflikt zwischen der verletzten Menschenwürde der Mutter und der zu schützenden Würde des Kindes gibt. In solchen schwierigen Fällen sollte es nicht Sache des Staates sein, über das Vorgehen der Mutter zu entscheiden. Hier kann meines Erachtens nur das Gewissen des Einzelnen entscheiden.
Daher wäre eine Entkriminalisierung für solche Grenzfälle angebracht; aber ebenso ein Verbot der Werbung oder gar einer gewerblichen Praxis.